Statt eines russisch-amerikanischen Diktatfriedens
DIE EU SOLLTE ENDLICH SELBST FRIEDENSLÖSUNGEN ENTWICKELN!von Werner Wintersteiner
Die EU hat den Schock, den die außenpolitische Wende der USA ausgelöst hat, noch nicht verdaut. Die hektisch einberufenen Sondergipfel, der wenig durchdachte Plan eines befristeten Waffenstillstands in der Ukraine und die großspurige Ankündigung einer 800 Milliarden Euro Aufrüstung sind eher Ausdruck von Panik und Phantasielosigkeit.
Kein Zweifel, Trump ist ein brutaler und egoistischer Machthaber. Aber er hat begriffen, dass wir inzwischen in einer multipolaren Welt leben, die die USA nicht mehr uneingeschränkt beherrschen können. Er hat die Sinnlosigkeit des Krieges mit Russland erkannt und arbeitet sehr energisch daran, den Krieg zu beenden. Er nimmt dabei kaum Rücksicht auf die Interessen der Ukraine. Allerdings könnte man auch sagen, er erkennt die augenblicklichen Machtverhältnisse in der Region an. Er verabschiedet sich von der illusorischen Idee des ukrainischen Siegfriedens („was immer es koste“) und argumentiert, dass damit weitere Zerstörung und weiterer Verlust an Menschenleben vermieden wird. Er ist dabei, einen keineswegs perfekten, ja ungerechten Frieden durchzusetzen. Dies auch deshalb, damit er sich nun vorrangig der äußerst explosiven Situation im Nahost und der Konfrontation mit China widmen kann.
Die EU bäumt sich mit großer Geste dagegen auf, aber welches politische Gewicht hat sie denn noch? Dass es nun wahrscheinlich zu einem „Frieden“ der russisch-amerikanischen Eintracht kommen wird, liegt nicht zuletzt auch daran, dass Europa drei Jahre nicht nur niemals über Friedenslösungen nachgedacht hat, sondern auch alle Vorschläge, von wem auch immer, vom Tisch gewischt hat. Somit kommen auch die vielen vernünftigen Überlegungen zu Friedensverhandlungen, die europäische und amerikanische Think Tanks gerade im letzten Jahr entwickelt haben, nicht mehr zum Zug. Und jetzt setzt Europa seinen Weg der Erfolglosigkeit offenbar fort, statt sich auf die neue Situation einzustellen.
Eine Achse Europa – Globaler Süden?
Weil die EU ein zu geringes Gewicht hat, und weil es jetzt nicht mehr darum geht, den Krieg fortzuführen, sondern einen halbwegs gerechten Frieden zu erreichen, sollten die Staatschefs und –chefinnen der Union schleunigst den Kontakt mit all den Staaten (vor allem aus dem globalen Süden) suchen, die in den letzten Jahren Friedensvorschläge auf den Tisch gelegt haben. Und das ist doch eine beachtliche Liste: Italiens Friedensplan, der Plan der Internationalen Arbeitsgruppe im Vatikan, der mexikanischer Vorschlag für eine Diplomatie-Kommission, der Vorschlag der Afrikanischen Union bezüglich einer Mediationsmission (alle bereits 2022); die Friedensinitiative von Lula da Silva, Chinas 12-Punkte-Plan, die Afrikanische Friedensdelegation, Indonesiens Friedensplan (alle 2023); der 6-Punkte-Plan von China und Brasilien, Indiens Beteiligung an Friedensbemühungen (alle 2024). Wichtig ist vor allem, dass hier großteils Staaten dahinterstehen, die Russland nicht als Feinde betrachtet und bei denen es an guten Beziehungen sehr interessiert ist.
Statt einen EU-Gipfel nach dem anderen abzuhalten, um sich gegenseitig in der eigenen Ratlosigkeit zu bestärken, sollten europäischen Leader auf die Stimmen derer hören, die sich von Anfang an für Friedenslösungen ausgesprochen haben. Vielleicht ist es möglich, auf diese Weise einen globalen Friedensgipfel, eine „Koalition der Willigen“ sozusagen, einzuberufen. Die EU-Führung sollte dort nicht das große Wort führen. Frieden und weltweit normalisierte Wirtschaftsbeziehungen sind vor allem im Interesse der Länder des Südens. Deswegen ist es vielleicht noch nicht zu spät, um Vorschläge zu unterbreiten, die zumindest die ärgsten Ungerechtigkeiten eines russisch-amerikanischen Deals abmildern.
Eine europäische Verständigung mit dem Globalen Süden wäre auch längerfristig ein wichtiges Signal, dass die Welt nicht nur den drei Supermächten gehört.
Werner Wintersteiner Univ.-Prof. (i.R.) ist Gründer und ehemaliger Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedensbildung an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt.